62 km auf der Panamericana, die auch hier in Kanada den Namen Alaska Highway trägt, haben wir am nächsten Morgen vor uns. Wir checken aus unserem Motel aus und nehmen das Frühstück wieder einmal auf der Fahrt ein. Das Menü kennt Ihr ja schon. Pappsandwich mit Nutella, Philadelphia und Bananen.
Trotzdem schmeckt es lecker, weil es zu so einem Urlaub dazugehört, und weil es uns an Tagen, an denen wir keine Lust auf ein ausgiebiges Frühstück haben, die Zeit gibt voranzukommen.
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unser Auto auf der Atlin Road, Kanada 2000
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So ist unser einziger Stop am Alaska Highway Lake Swan. Ein kleiner Waldweg führt vom Highway ab und leitet uns ins Unterholz. Einige Minuten läßt er uns zweifeln, ob wir wirklich dem richtigen Schild gefolgt sind. Vereinzelt tauchen bewohnte Blockhäuser auf. Ein Campingplatz, wenn auch geschlossen, verstärkt unseren Eindruck, daß wir auf dem richtigen Weg sind und schließlich endet der Weg auch an einer Aussichtsplattform. Vor uns erstreckt sich der weitläufige See umgeben von Brachland und einer weit an den Horizont verdrängten Gebirgskette. Infotafeln erklären uns hunderte von Vogelarten, die wir aber leider alle nicht ausmachen können. Die Texte weisen uns darauf hin, daß die Brutsaison, in der sich die Vögel hier sammeln, im April endet. Wieder mal beweist sich, daß Alaska und der Norden Kanadas extrem von den Jahreszeiten geprägt sind und man wohl mehrere Reisen braucht, um alle Naturwunder kennenzulernen.
Zurück auf dem Highway genießen wir noch die wenigen Kilometer Asphalt, bevor wir in Jakes Corner, einem Rasthaus, das Dank der dünnen Besiedlung des Landes seinen Weg in Karten und Atlanten gefunden hat, auf die Atlin Road abbiegen.
Über Atlin haben wir an vielen Quellen nur wenig finden können. Die Aussagen schwankten dabei zwischen paradiesischer Einsamkeit und der Frage, warum der Autor diesen Umweg auf sich genommen hat. In jedem Fall waren es aber nur wenige Zeilen über den kleinen Ort.
In unseren Zeitplan paßt er und so nehmen wir die 97 km lange, nur grob präparierte Sackgasse nach Atlin. Das Wetter kann sich nicht so richtig entscheiden, ob es uns dabei zur Seite stehen soll. Bereits den ganzen Morgen sind wir durch ein trübes Grau gefahren. Jetzt wechseln sich Schnee- und Regenschauer, die die Straße aufweichen, mit sonnigen Partien ab, die Seen und Gletscher zu unserer Rechten in eine wundervolle Kulisse verwandeln. Hier und da halten wir an und lassen unsere Blicke über Wasser und Berge schweifen, entdecken Weißkopfadler und auch mal einen einsamen Angler.
Schließlich kommen wir in Atlin an und starten eine überraschend kleine Stadtrundfahrt. Ein paar Häuser, ein geschlossenes Kino, eine Kirche, ein Tante-Emma-Laden, eine Tankstelle, ein Restaurant, ein Bistro und die Tarahne.
Die Tarahne war lange Zeit eines der bedeutendsten Verkehrsmittel in einer Region, in der Seen, Flüsse und Kanäle sich über weite Strecken durch das Land ziehen (Atlin = tlingit für großes Wasser). Heute liegt das Schiff in gut restauriertem Zustand direkt am Ufer des Atlin Lake.
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Kanuausflug auf dem Atlin Lake, Kanada 2000
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Bei unserer Ortsdurchfahrt sehen wir verschiedene Unterbringungsmöglichkeiten, die wir gleich ansteuern. Die Preise verschlagen uns allerdings die Sprache, so daß wir uns an ein Schild am Ortseingang erinnern. Hier führt uns die Pillman Road den Berg hinauf zu Quilts & Comforts. Wie zu erwarten sind wir die einzigen Gäste (wahrscheinlich die Einzigen in der ganzen Stadt) und dürfen uns zwischen drei Zimmern entscheiden, die unterschiedlich mit den von der Hauseigentümerin selbstgemachten Quilts dekoriert sind. Quilts als Wandteppiche, Quils als Bett- und Kissenbezüge. So entscheiden wir auch nach den Quilts und suchen uns zu einem Preis von CAD 75 (Atlin Inn und ein weiteres Appartmenthaus direkt am Wasser wollten jeweils dreistellige Beträge!) das blauste Zimmer aus. Dazu lernen wir noch, daß wir in diesem bed & breakfast keine Hotelsteuer zahlen müssen, da diese erst ab vier Zimmern zu entrichten ist. Wieder etwas Sinnvolles gelernt.
Wir stellen nur kurz unser Gepäck ab und schauen ins Badezimmer, bevor es wieder herunter geht vom Pillman Hill. Nach den Erlebnissen in der Katherine Gorge in Australien fällt es diesmal um so schwerer, Claudia von einer Kanutour zu überzeugen. Aber das wechselhafte Wetter lasse ich nicht gelten, die Seen schreien geradezu nach uns und bei Norseman Adventures finden wir auch das passende Kanu dazu. Schwieriger ist es, das Zubehör zu finden, denn das Inhaberpaar kann sich nicht so recht erinnern, wo man im letzten Herbst Paddel und Schwimmwesten verstaut hat - wir sind die ersten Besucher in diesem Jahr, die auf den See hinaus wollen! So dauerte es etwas, bis in irgendeinem Verschlag das erforderliche Zubehör auftaucht. Während der Suche unterzeichnen wir einen Vertrag, daß wir für CAD 20 das Kanu den ganzen Tag nutzen dürfen und an jedem Unglück das passieren könnte ganz allein Schuld sind.
Letztendlich sitzen wir mit dicken Jacken und Schwimmwesten eingepackt wie Eskimos in unserem Alukanu und werden ins Wasser geschoben. Die Inseln in der Mitte des Atlin Lake sind unser Ziel. Der starke Wind unterstützt uns teilweise beim Paddeln, teilweise dreht er die Strömung des Sees gegen uns. Aber mehr und mehr vertreibt er auch die Wolken und läßt mit dem blauen Himmel das Bild perfekt werden. Irgendwie sind wir ins Paradies gepaddelt. Ein tiefblauer See, bewaldete Inseln mittendrin, verschneite Gletscher und hellblauer Himmel, der das Bild umrahmt. Auf einer der Inseln erblicken wir ein Wohnhaus und erfahren später, daß es einem Kalifornier gehört, der hier alljährlich seinen Sommer verbringt. Vor einigen Tagen sei er wieder eingezogen und habe Hab und Gut noch über den gefrorenen See tragen müssen. Inzwischen ist der See vollständig eisfrei. Ein Boot liegt am Steg vor dem prächtigen Haus und irgendwo hört man jemanden Holz schlagen.
Anstatt den Bewohnern unbekannterweise einen Besuch abzustatten, entscheiden wir uns für die größte der drei dicht beieinander liegenden Inseln und gehen in einer steinigen Bucht an Land. Kaum daß der Wind nicht mehr an uns zerrt, merken wir die Wärme der Sonne, schälen uns aus Schwimmwesten und Jacken und beginnen als Robinsons die Insel zu erkunden. Boot, Jacken und Teile unseres Gepäcks lassen wir zurück. Außer ein paar Vögel haben wir wohl keine Mitbewohner auf der Insel. Der einzige Trampelpfad ist überwuchert und seit der letzten Saison nicht mehr genutzt worden. Wir folgen ihm so lange wie wir ihn noch ausmachen können und müssen schließlich querfeldein weiter bis wir an die Westküste der Insel gelangen. Hier setzen wir uns auf Felsen direkt über dem Wasser, drehen unser Gesicht in die Sonne und zücken unsere Bücher. Die Gletscher erfüllen unser gesamtes Blickfeld und scheinen zum greifen nah, obwohl das nächste Gletscherfeld in Wahrheit noch rund fünfzig Kilometer von uns entfernt ist. Absolute Ruhe ist mit uns. Der Wind bewegt vorsichtig die Baumwipfel, die Vögel schwimmen auf dem Wasser und tauchen gelegentlich unter, um nach einem kleinen Fisch zu schnappen - Idylle!
Unseren Rückweg treten wir mit einem großen Bogen über den See an, bevor wir das Kanu zu Norseman zurückbringen. Trotz der inzwischen längst vergangenen Mittagszeit kehren wir hungrig vom Seeausflug ins Pine Tree Restaurant ein. Das kleine Bistro ist eingerichtet wie eine Wohnküche aus der Jahrhundertwende. Die Tapete jedoch wirkt neu, das Muster hat etwas von Meißner Porzellan und unsere Burger schmecken lecker bei angenehmen Preisen. Kakao und Tee mag nicht richtig zu Burgern zu passen, dient aber unseren ausgekühlten Körpern.
Auf der Veranda des Quilts & Comforts ruhen wir uns aus. Im Vorraum unseres Zimmers finden wir einen Wasserkocher und verschiedene Sorten losen Tee sowie frischgebackene Cookies vor. Mit Tee und Keksen sitzen wir auf der Veranda und genießen den Blick, den Ihr auf obigem Bild seht. Die Inhaber unseres B&B arbeiten um uns herum im Garten, eine Leidenschaft, die sie bei ihrer Auswanderung von Vancouver Island mitgebracht haben und die in dieser kargen Landschaft besonders viel Zeit erfordert. Zur beruhigenden Melodie der Windspiele schlage ich wieder mein Buch auf und Claudia die Augen zu.
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Aussicht auf Gletscher, Wald und See von unserem B&B, Kanada 2000
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Bei der Aussicht von hier oben schweifen die Gedanken zwangsläufig ab. Wäre Atlin der ideale Ort zum Aussteigen ? Mit Sicherheit wäre es ein wunderbarer Ort zum Leben. Die einzige Frage ist, wovon. So setzt sich auch die Bewölkerung von Atlin aus Menschen zusammen, die es sich leisten können, nicht mehr über Einkünfte nachzudenken und aus Künstlern, die ihre Kreativität aus der Landschaft ziehen und deren Agenten sich irgendwo in Nordamerika darum kümmern, daß die Werke verkauft werden. Aber vielleicht tragen gerade die Künstler, die einen vereinzelt in ihre Werkstätten einladen, noch um so mehr zum Reiz des Ortes bei ...
Nach einer Ruhepause reißt es uns wieder los. Die Umgebung fordert geradezu auf, sie zu erkunden und so wollen wir den Pillman Hill etwas näher kennenlernen und den Blick auf See und Gletscher aus verschiedenen Winkeln suchen. Unaufgefordert werden wir von Lady begeistert begleitet und verlassen uns auf ihren Orientierungssinn. Lady ist die Labrador-Hündin, die zu unserem B&B gehört und die genauso reisebegeistert ist wie wir. Mit uns erläuft sie den gesamten Pillman Hill, spielt und rennt mit uns und als wir nach dem Duschen mit dem Auto wieder in den Ort fahren wollen, steht sie mit wedelndem Schwanz vor der Beifahrertür und möchte mitfahren.
Es fällt schwer, es ihr auszureden, aber zum Abendessen können wir sie wirklich nicht mitnehmen. Nach dem (Nach-)Mittagessen im Pine Tree, bleibt für das Abendessen nur noch das Atlin Inn. Die Preise erschüttern uns ähnlich wie die für eine Übernachtung, zumal wir gar nicht so viel Hunger haben. Aber was soll's ! Es ist Urlaub und auch wenn dieses Essen teuer ist, wird es sich im Gesamtbudget der Reise kaum bemerkbar machen (nutzt man dieses Argument regelmäßig, wird sich das allerdings schon auf die Kosten auswirken!). An einem Tisch mit Blick auf die Tahrane, den See und die Berge schauen wir letztlich aber doch traurig auf unser gutes und teures Essen, von dem wir nur die Hälfte schaffen.
Eine Verdauungsfahrt nehmen wir uns noch vor und fahren zu einer Künstlerschule südlich von Atlin. Auf einem weiteren Berg mit Blick über den See finden wir die Gebäude, die mit einer europäischen Kunstschule nichts gemein haben. Hütten, die der Renovierung bedürfen, mit Zeltplanen abgespannte Gebäude, die wohl Bildhauern und Holzschnitzern ihren Spielraum bieten, ein kleiner Bergsee, ein im Bau befindliches Wohnhaus. Hier und da stehen Plastiken herum. Künstler sind zumindest an diesem Abend keine zu finden. So streunen wir etwas über das Gelände und kehren mit dem Sonnenuntergang ins Quilts & Comforts zurück.
Aus dem Buch: 24 Tage am Beginn der Panamericana - Jetzt bestellen und weiterlesen!
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